Adelgund in den Klauen derer von Stepahanskirchen.

Adelgund von Stephanskirchen fuhr in ihrem tizianroten Rolls Royce Silver Shadow zurück zum Herrensitz der Familie ihres Mannes, Pankratius von Stephanskirchen, nachdem sie einige Tage bei ihrer Mutter in Unterpfaffenhofen verbracht hatte.

Auf der Fahrt über die sanften Hügel des Stephanskirchschen Gutes wichen ihrer Gedanken noch einmal auf die vergangenen Stunden zurück und ein Lächeln huschte über ihr feinnerviges, von rostbraunem Haar umwalltes Gesicht.

Dort in Unterpfaffenhofen, wo sie als Adelgund Geisberger die glücklichen Jahre ihrer Jugend verbrachte, hatte sie sich mit ihrer Mutter Tusnelda getroffen, von der sie 25 Jahre lang selbstlos umsorgt wurde. In dieser unbeschwerten Zeit, die nun wieder hinter ihr lag, vergaß sie jene schicksalsschweren Stunden, die sie aus ihrem Elternhause getrieben hatten. Ihr Vater Ambrosius Geisberger, ein ehrbarer Mann, der in Unterpfaffenhofen ein Delikatessengeschäft betrieb, sah sich vor zwei Jahren dazu gezwungen, sein Geschäft aufzugeben. Zu viele Schulden lasteten auf dem Laden, der auf dem Grundbesitz Dagoberts von Stephanskirchen, dem geldgierigen Oberhaupt des alteingesessenen Clans, gebaut war. Aufgrund einer hintergründigen Klausel, die der Pachtvertrag enthielt, mußten die Geisbergers nach 50 Jahren das Gelände verlassen, auf dem sie ihre Existenz aufgebaut hatten. Der kalt berechnende Dagobert und seine ebenso herzlose Frau Notburga sahen darin die Chance, für ihren brutalen, durch eine Wolfsscharte entstellten Sohn Pankratius eine Frau zu finden. Diese Frau sollte Adelgund sein. Da Dagobert von Stephanskirchen ihren Vater in der Hand hatte, mußte dieser schmerzlich einwilligen. So kaufte er sich seine Existenz für den Preis, daß er seine Tochter Pankratius zur Frau gab.

Alle diese Gedanken schossen Adelgund durch den Kopf. Der von den die Straße ümsäumenden Tannen abgeschwächte Sonnenstrahl spielte auf ihren Wangen. Adelgund war jedoch zu tief in ihren Gedanken versunken, als daß sie es bemerken konnte. Die Woche bei ihrer Mutter hatte ihr wieder Kraft gegeben, Kraft, um in jenem dunklen Herrenhause in Stephanskirchen die nächsten Monat aushalten zu können. In Unterpfaffenhofen war Alles wieder wir früher gewesen, wie vor jenem schrecklichen Tag, als sie mit Pankratius vor den Traualtar treten mußte. Die ganze schreckliche Szenerie in der Dorfkirche von Stephanskirchen tauchte vor ihren Augen auf : Dagobert von Stephanskirchen, seine Frau und die Tochter Creszenzia auf der vorderen linken Bank des Gotteshauses sitzend, im Gefühl, ein gutes Geschäft gemacht zu haben, auf der anderen Seite ihre todunglücklichen Eltern, die jener verrufenen Sippe nicht gewachsen waren, der Sippe, deren Mitglied sie nun war. Jedoch was für ein Mitglied ?  Eine geduldete Figur, allein dazu auserwählt, als liebevolles Anhängsel von Pankratius auf Empfängen zu lächeln, in der restliche Zeit jedoch von Ihrer Schwiegermutter Notburga aufs Tiefste gedemütigt. Hätten ihre Eltern doch bloß vierzehn Monate vorher in die Heirat mit Reginald Olschowsky eingewilligt, doch damals steckte er gerade erst im Examen und ihr Vater glaubte, Reginald könne ihr keine vernünftige Existenz anbieten. Doch sie verlor Reginald bald danach aus den Augen und nun war sie in den Fängen dieser Familie gelandet. Ihre Gedanken stockten. Soeben war sie den Gutshof den von Stephanskirchschen Besitzes eingefahren.

 

Der Butler Leopold öffnete Adelgund die Wagentür und ließ sie aussteigen. Während sie die Stufen zum eichenhölzernen Hauptportal hinaufstieg, parkte Leopold den Rolls in die Garage ein.

Als sie dir Tür öffnete, stand sie ihrer Schwiegermutter Notburga gegenüber. „Nun, Adelgund ? Wie war die Reise ?" Notburga preßte die Frage mit einem grimmigen Gesichtsausdruck zwischen ihren Zähnen hervor. Die gedrungene Gestalt, die durch das schwere, protzige Brokatkleid unvorteilhaft überbetont wurde, ließ sie noch unheimlicher erscheinen. Wie oft hatte diese Person Adelgund schon nachspioniert ! Die wenigen Besuche bei ihrer Mutter waren für Adelgund das einzig erträgliche in ihrem Leben geworden und diese Freude wollte sie sich von keinem Tyrann nehmen lassen. „Nun, Adelgund ?" Auch die Wiederholung der Frage ließ sie unbeantwortet.

Da öffnete sich plötzlich die schwere Tür zum marmornen Arbeitszimmer und heraus trat Dagobert von Stephanskirchen, ein Mann, der den Höhepunkt seines Lebens weit überschritten hatte. Ein strähniger Haarkranz umgab seine Halbglatze und das Gesicht war von Krankheiten schwer gezeichnet. Dieses Gesicht vermochte jedoch nicht Mitleid zu erregen, denn die tiefen Furchen waren Teile eines Antlitzes, dessen Träger erlittene Krankheiten rücksichtslos an seine Mitmenschen mittels unmenschlicher geschäftlicher Methoden weitergab. Der Eindruck eines nie lachenden, herzlosen Menschen wurde dadurch verstärkt, daß er Knickerbocker und Schaftstiefel trug, an denen man noch Blutflecken mißhandelter Menschen zu erkennen glaubte.

Adelgund wußte, was Dagobert wollte, bevor er zu reden begann. Dagobert wollte ihr sicher wieder vorwerfen, daß sie und Pankratius ihm noch keinen Enkel geschenkt hätten. Doch wer wollte von ihr verlangen, diesem abgrundhäßlichen Mann, dem Sproß einer geldgierigen Sippe, diesem Pankratius von Stephanskirchen, einen Sohn zu gebären ? Adelgund war schon durch die Heirat genug gestraft worden. Doch Dagobert war unbeirrbar.

In einem Ton, von dem jedem Außenstehenden das Blut in den Adern gefroren wäre, erklärte er, daß Pankratius am Tage zuvor von seinem Kuraufenthalt zurückgekommen sei und bereits in den oberen Gemächern auf sie warte. Dieses, was wie ein freundlicher Hinweis klingen mag, wäre für Adelgund, hätte sie ihn nicht befolgt, schmerzlich geworden, denn schon einmal hatte sie bei einer ähnlichen Situation den Knauf von Dagoberts Spazierstock zu spüren bekommen.

Schweren Schrittes stieg Adelgund die Stufen zur ersten Etage hinauf. Dann öffnete sie die Tür und vor ihr stand nun Pankratius. Die Szenerie wirkte gespenstisch. Die hünenhafte Gestalt von Pankratius war in ein unheimliches Halbdunkel gehüllt. Ein kleiner Schatten verbarg die mißgestaltete Wolfsscharte seiner Mundpartie. Die enganliegenden Brauen und seine gierig funkelnden Augen ließen ihn zusammen mit der Peitsche in seiner rechten Hand wie einen Folterknecht erscheinen. Nun kam er stampfenden Schrittes auf sie zu. Adelgund versuchte auszuweichen, jedoch vergeblich. Pankratius hatte sie erreicht und schlug mit der Peitsche auf sie ein.

 

Am nächsten Morgen wachte Adelgund, von Schmerzen gepeinigt, in ihrem Bett auf. Pankratius hatte sie übel zugerichtet. Ihr Körper war übersät mit Peitschenstriemen und die Schmerzen wuchsen ins Unmenschliche an. Adelgund verzweifelte. Sie wußte nicht mehr, warum sie noch leben sollte. Dieses Haus hatte aus ihr ein körperliches und seelisches Wrack gemacht. Es war ihr unmöglich, all die Peinigungen noch länger zu ertragen.

Da öffnete sich die Tür und herein trat ihre Schwiegermutter. Ihre Augen funkelten zynisch : „Na, Spaß gehabt heut' Nacht ?" fragte sie hämisch. Adelgund war zu schwach, um zu antworten. Nach eingehender Prüfung ihres Zustandes beschloß Notburga, einen Arzt kommen zu lassen, denn am übernächsten Tag war im Garten des Gutes ein Galaempfang für die für die Honoratioren des gesamten Landkreises geplant, die die 750-jährige urkundliche Erwähnung derer von Stephanskirchen in Stephanskirchen bei Regensburg gebührlich feiern wollten.

Zu diesem Anlaß mußte Adelgund natürlich wieder hergerichtet sein. So entfernte sich Notburga aus dem Schlafgemach, um den Arzt in Regensburg anzurufen. Sie suchte im Telefonverzeichnis die Nummer heraus und wählte. Das Rufzeichen ertönte. Einmal. Zweimal. „Hier Praxis Doktor Goldstein !" Es erklang eine weiche Männerstimme. Notburga antwortete : „Hier ist Notburga von Stephanskirchen. Könnte ich bitte den Doktor sprechen ?" „Am Apparat." Notburga stockte. „Aber Sie sind doch nicht Doktor Goldstein ?" „ Das stimmt. Doktor Goldstein ist vorgestern in Urlaub gefahren. Ich bin seine Vertretung." Notburga überlegte. Sollte sie dem unbekannten Doktor diese delikate Sache überantworten ? Nach einigem Zögern tat sie es. Sie erklärte ihm, daß in der Nacht zuvor ein geistesgestörter Einbrecher ihre Schwiegertochter mißhandelt habe und bat ihn, sofort zu kommen.

Siebzig Minuten später fuhr ein weißes Chevrolet Corvette Cabriolet in den Gutshof ein. Ihm entstieg ein dreißig Jahre alter, von der Sonne gebräunter Mann mit strohblondem Haar und tiefblauen Augen, in denen man die weite des Ozeans zu sehen glaubte. Die perlweißen Zähne und sein markanter Bart ließen den Vertretungsdoktor lebensfreudig erscheinen. Am Hauptportal begrüßte ihn der im schwarzen Livree gekleidete Leopold und führte ihn zu Notburga. „Gestatten, gnädige Frau : Reginald Olschowsky. Ich bin der Vertreter von Samuel Goldstein." Notburga zeigte ihm den Weg zu Adelgunds Gemächern. Reginald stieg die Stufen hinauf. Er klopfte an der ihm beschriebenen Tür und ein leises Wimmern von Innen gebot ihm, einzutreten.

Der Patient lag mit dem Rücken gedreht zur Tür und drehte sich erst herum, als Reginald dieselbe geschlossen hatte. Reginald erschrak. Die Patientin, die er zu behandeln hatte, war Adelgund. Wie oft hatte er gerade in der letzten Zeit an sie gedacht, in der Hoffnung, sie einmal wiederzusehen ! Und durch diesen Zufall, nein es war Vorsehung, daß er diesen Vertretungsposten annahm, fand er Adelgund wieder. Auch sie hatte ihn längst erkannt und flüsterte leise : „Reginald, Dich schickt der Himmel !". Nachdem er sich auf die Kante ihres Bettes gesetzt hatte, erzählte sie ihm von all den schrecklichen Ereignissen, die sie in diesem Hause hatte bislang erdulden müssen. Reginald war erschüttert. Tatkräftiger Beweis waren für ihn die Verletzungen, die nach ihren Worten aus der letzten Nacht stammten. Er war entschlossen, sie aus diesem Haus herauszuholen. Und bevor er seinen Plan erläutern konnte, trat Notburga ein. Reginald erklärte ihr, daß er alle zur Behandlung notwendigen Mittel in der Praxis habe. Notburga willigte ein, daß er Adelgund dorthin mitnehmen, sie behandeln und am Abend wieder zurückbringen werde. Adelgund streifte sich ein Kleid über und stieg in Reginalds Corvette ein. Auf der Fahrt erklärte er ihr den Plan. Er fuhr mit ihr in Richtung Grenze, denn in der österreichischen Steiermark besaß er ein Landhaus, wo Adelgund zunächst Unterschlupf finden konnte. Nach einhundert Kilometern überquerten sie bei Braunau den Inn und befanden sich auf österreichischem Gebiet. Nach einer Fahrt von insgesamt zwei Stunden Dauer hielt Reginald vor einem schmucken Holzhaus, nahm Adelgund in die Arme und trug sie über die Schwelle hinein. Zwei Jahre schrecklichster Leiden waren nun für Adelgund zu Ende. Sie schloß Reginald in ihre Arme und sagte überglücklich : „Reginald, auf diesen Moment habe ich zwei Jahre gewartet !"

ENDE.

© 1975, 1998 by Bernhard Riess

 

Lieber Leser, wenn Du bis jetzt durchgehalten hast, dann bin ich gespannt auf Dein Urteil !

Bernhard Riess

 

zurück zum Seitenbeginnzurück zur vorherigen Seitezurück zur Homepage

 

Copyright © by Bernhard Riess. Alle Rechte vorbehalten.